Eine gattungsspezifische Zuordnung der Arbeiten von Martina Gmür ist schwer zu bewerkstelligen: Ihre Verwendung von Acryl sowie der flächige Farbauftrag sprechen für die Malerei. Zugleich tendiert sie in ihrer Wahl der Motive und deren Platzierung im Bildraum zu einem zeichnerischen Repertoire. Allerdings dienen in den aktuellen Arbeiten weder Leinwand noch Papier als Bildträger, sondern die transparente Plastikfolie, die mit ihrer Durchlässigkeit direkt auf die Wand als materiellen und räumlichen Hintergrund verweist. Handelt es sich am Ende um Raum-Installationen?
In ihrer poetischen Leichtigkeit verweigern die Werke auch eine kunsthistorische oder theoretische Referenz, sondern berühren vielmehr das Erinnerungsfeld und die Traumwelt. Sie sind eine „Zumutung emotionaler Rührung"(1) ohne dass wir diese Zumutung als solche empfinden würden. Es handelt sich nicht um eine pathetische, sondern viel mehr um eine spontane Rührung, insofern als sie uns an unseren kindlichen Blick und die damit verbundene Fähigkeit zum Staunen und Geschichtenerzählen erinnert: Die Übernachtung am Bach wird zu einem Schlafen im Bach; er lullt uns in unsere Erinnerungen ein, als hätten wir uns in unseren warmen und weichen Schlafsack gekuschelt. Der junge Mann im blauen Hemd sagt von sich, er sei ein diskreter Mensch – angesichts seiner behutsamen Gestik müssen wir ihm entwaffnet glauben. Ebenso steht ausser Frage, dass die Haarmähne mit Nase das Portrait von Ana ist und die Stripperinnen tatsächlich harmlos sind.
Diesen Glauben an die Aufrichtigkeit der Bilder erreicht Martina Gmür gerade dadurch, dass sie innere Bilder in uns weckt, die keiner Erdung im realen Raum verpflichtet sind, sondern den Empfindungen unserer oft verdrängten Tagträume und beiläufigen Wahrnehmungen Realität geben – und dies gerade mit alltäglichen Motiven aus ihrer eigenen Erlebniswelt.
Der Tanz braucht keine Bühne – es gibt ja so viel weisse Wand, in deren unendlichen Weite und Tiefe man tanzen oder sich verlieren kann! Und das Fenster, Topos der Bildtheorie seit Alberti, wird nicht Mittel zur Erkenntnis sondern trägt in sich einen Erkenntniswert in der soliden Kunst des Sgraffito. Auf Karton ist der Fensterrahmen transportabel, und wie ein Altarbild kann man ihn durch Zuklappen der Flügel vor unerwünschten Blicken verbergen. Kein Wunder also, dass umgekehrt die nüchternen Galerienwände dank Klebefolie den Charakter eines Jahrhunderte alten, zuverlässigen Gemäuers erfahren.
Es herrscht in den Arbeiten von Martina Gmür eine Gewissheit, die jenseits rationaler Sicherheiten liegt; im schwebenden Ertasten der Gefühls- und Erinnerungsräume, die man einmal als Wirklichkeit empfunden hat. Als könnte man ohne weiteres das sichere Zuhause der Geborgenheit in Kofferformat zusammenklappen und jederzeit irgendwo federleicht wieder aufstellen.
Fiona Siegenthaler
(1) Annina Zimmermann: Von der Zumutung emotionaler Rührung. In: Regioartline Kunstmagazin, 30.3.2004