Die Ausstellung SKULPTUR zeigt mit aktuellsten Werken drei künstlerische Positionen, die ein je eigenwilliges Verständnis von Skulptur vertreten. Alle drei Künstler gehen über das moderne Verständnis der Skulptur als autonom im Raum stehendes Objekt hinaus. Sie bewegen sich medial, ästhetisch und gattungshistorisch in Grenzbereichen und dürfen dennoch entschieden die Bezeichnung Skulptur für sich beanspruchen.
Erik Steinbrecher: Russische Beleuchtung, 2007
In der für Erik Steinbrechers neueren Werke charakteristischen Paradoxie einer minimalistischen wie auch zugleich opulenten Ästhetik wird der Besucher von drei Objekten empfangen, die eher so tun als wären sie Leuchter. Denn anstatt schön und praktisch zu sein, ist die Russische Beleuchtung unbequem: Ihre tiefe Hängung widerspricht der Funktionalität ebenso wie die Tatsache, dass ihre nackten Glühbirnen in einem schon beleuchteten Raum brennen. Form wie auch Material entsprechen nicht der Vorstellung eines kristallinen Leuchters, und ihre Beschaffenheit, Dichte und Schwere lässt sich kaum erraten. Sie scheinen aus sehr bescheidenen Materialien zu Bestehen; Holzlatten und Seile, Brotlaibe. Diese Ärmlichkeit wird jedoch von einer an den Minimalismus angelehnten, industriell gefertigten Oberfläche gebrochen.
Die Herstellung der Skulpturen beruht auf einem aufwendigen Verfahren, das insbesondere für die industrielle Herstellung von Designprodukten verwendet wird und dem Bronzegussverfahren mit verlorenem Modell ähnelt. Anstelle von Ton und Wachs arbeitet Steinbrecher jedoch mit verbrennbaren Materialien wie Holz, Hanf oder auch Brot. Und anstelle der Bronze wird Aluminium eingesetzt. Unter sehr hohen Temperaturen wird das organische Material gewissermassen verbrannt, so dass letztlich die Formen als hohle Aluminiumkörper – und als Unikat - zurückbleiben.
Udo Koch: Akelei, 2007
Udo Koch hat in den letzten Jahren ebenfalls im Gebiet einer hoch entwickelten Technik gearbeitet, dem Laser-Sinter-Verfahren, das in der Industrie für Formen verwendet wird, die aufgrund ihrer komplizierten Form nicht gegossen werden können. Die in der Ausstellung gezeigte Blutfarbene Lilie von 1996 ist ein Vorläufer aus Gips, der auf demselben künstlerischen Konzept beruht.
Parallel zu diesen Skulpturen arbeitet Udo Koch kontinuierlich an einem zeichnerischen Oeuvre, das einer konzeptionellen Arbeitsweise unterliegt. Ausgehend von Blumenformen erzielt er durch ein Spiegelungsverfahren grosse, organisch wirkende Zeichnungen, die einen Makro- und Mikrokosmos zugleich zu umfassen scheinen. Dabei werden nicht die eigentlichen Formen, sondern ihre Negativ-Form gespiegelt – also der das Objekt umgebende Raum.
Erstmals zeigt Udo Koch in der aktuellen Ausstellung eine Arbeit, die aus der Beschäftigung mit beiden Gattungen - der Zeichnung und der Skulptur – erwachsen ist. Mit Papier verwendet er ein Material, das den klassischen, auf Dauerhaftigkeit angelegten Bronze- und Steinskulpturen diametral entgegensteht. Dennoch verkörpert die Akelei grundlegende Kriterien der Skulptur: Dreidimensionalität, Körperhaftigkeit, Bezüge zum Raum und ganz besonders die ästhetische Aktivierung durch Licht und Schatten. Indem Udo Koch die ausgesprochen flache Grundlage Papier in die Dreidimensionalität erweitert, werden Licht und Schatten die konstitutiven Elemente der Arbeit und machen nicht nur eine modellierte Oberfläche sichtbar, sondern eine hoch komplexe Struktur, die keine Unterscheidung zwischen sichtbarer Körperoberfläche und unsichtbarem Körperinnenleben zulässt. Wie bei den Zeichnungen basiert auch diese Arbeit auf der Spiegelung der Negativform, also des eigentlichen Umraumes des Motivs. Damit wird der Skulpturbegriff transformiert, lässt sich doch der Köper nicht mehr lediglich als Volumen im Raum verstehen, sondern ist zugleich der ihn umgebende Raum.
Roman Signer: Bar, 2007
„Roman Signer hat 1985 zwei Momente genannt, durch welche sein Schaffen den klassischen Skulpturbegriff erweitert: erstens die Bewegung und zweitens den Zufall." (1) Diese zwei Eigenschaften gehören gattungstheoretisch eher zur kinetischen Kunst, zur Performance, zur Aktion und zum Experiment. Roman Signer spricht jedoch lieber von Installation und Ereignis.
In der Tat wirkt die Bar zunächst wie eine Installation – sie nimmt den gesamten Raum in Anspruch und zwingt den Eintretenden, seinen Weg durch die Ventilatoren zu suchen. Jede Flasche hat ihren Antrieb, den Ventilator, und kreist in ihrem je individuellen Radius und Tempo an der Schnur. Doch wie bei einer Tanzgruppe bilden die fünf Flaschen eine gemeinsame Choreografie, die weniger durch eine perfekte Synchronie denn vielmehr durch einen gemeinsamen Bewegungsantrieb funktioniert. Die zirkuläre Luft der Ventilatoren, Verursacher dieser Bewegung, bringt nicht nur die Flaschen zum Drehen, sondern berührt auch den Körper des Besuchers, der dadurch Teilhaber der Skulptur wird. Dazu trägt auch das Raum füllende Summen der Geräte bei.
Was die Flaschen zu einem gemeinsamen Körper – oder auch zu einer Skulptur – macht, ist gerade die Bewegung, ihre Ursache und ihre Wirkung im Raum. Sie macht die Zeit und ihre Ereignishaftigkeit erfahrbar.
Lic.phil. Fiona Siegenthaler, STAMPA Basel
(1) Paul Good: Zeit Skulptur. Roman Signers Werk philosophisch betrachtet. Zürich/Köln: Unikate/Walther König, 2002; S. 35.