Lichträume heisst der neuste Bilderzyklus von Josef Felix Müller und wird anlässlich seiner Einzelausstellung bei STAMPA erstmals gezeigt.
Räume des Lichts? Räume durch Licht? Licht im Raum? Raumgenerierendes Licht? Der Titel dieses Zyklus ist klar – und dennoch assoziationsfreudiger als seine Vorgänger, die Berge, Quellen oder Waldstück heissen.
Nach den Bergen, die noch nach Reproduktionen in Büchern entstanden sind, fotografiert Josef Felix Müller die Bildvorlagen selber. Lange Wanderungen, erfüllt mit präzisen Beobachtungen und dem kurzen Augenblick der Fotoaufnahme, finden ihre Kristallisation im über Monate mehrschichtig gemalten Ölbild. Dass das Bild nicht nur von einer Fotografie abgemalt ist, sondern auch und vielleicht hauptsächlich von der Zeit zeugt, die der Künstler zur genauen Beobachtung der Natur, ihrer phänomenologischen Erscheinung und ihrer sinnlichen Wirkung auf Retina und Körper in Anspruch nimmt, ist den Gemälden anzusehen und anzufühlen. Aus der Distanz fast überdeutlich, an ein perfekt beleuchtetes Relief oder ein hinterleuchtetes Digitalbild erinnernd, entdeckt uns die Leinwandoberfläche aus der Nähe die Macchia der Malerei, die präzise aber eben nicht fotografische Pinselarbeit. Diese Bewegung zwischen Distanz und Nähe liegt in den Bildern und ihrer Komposition selbst, fordert aber auch den Betrachter zu langem Verweilen: Seine Verortung vor, im Bild verlangt viel Zeit und kann, einer Meditation ähnlich, Zeitrelationen auflösen.
Die Zeit begleitet Josef Felix Müller seit Beginn seines künstlerischen Schaffens in unterschiedlichen Formen. Während die Holzskulpturen in kurzer Zeit mit der Motorsäge in ihre unverkennbare, hoch energiegeladene Gestalt gebracht wurden, beschäftigte sich Müller auch in der Malerei vertieft mit dem Topos des Rituals. Das Ritual ist eine Handlung, die den Augenblick ihrer Ausführung in die höchste Wahrnehmungspräsenz bringt, zugleich aber auch auf Nachhaltigkeit, Tradition, Wiederholung, Iteration angewiesen ist, um das Bewusstsein überhaupt in diesen Wahrnehmungszustand zu bringen. Die Gemälde von Müller vermitteln diesen Eindruck: Als hätte der Künstler immer etwas mehr Zeit als die anderen gehabt, die Natur zu betrachten, versprechen die Gemälde die Ansicht einer zusätzlichen Komponente oder Dimension, derer man aber nicht ganz habhaft werden kann. In gewisser Hinsicht scheinen sie tatsächlich etwas Skulpturales in sich zu bergen, wobei nicht klar zu erkennen ist, ob diese zusätzliche Dimension die räumliche oder die zeitliche ist.
Dieses Zusammenspiel der mehrschichtig bearbeiteten Leinwand, der im Malakt auf das Bild übertragenen Zeit und der körperhaften Erscheinung des Gemäldes, wird im neuesten Zyklus, den Lichträumen, gesteigert. Mehr noch als die Berg- und Quellenbilder scheinen sie das zu suchen, was in der Romantik als Transzendenz bezeichnet und angestrebt wurde – eine Überwindung der alltäglichen Wahrnehmung hin zur Erkenntnis einer übergeordneten Sphäre.
Die Lichträume, die die Sonne zwischen den Baumästen schafft, sind denn auch Blendräume; sie lassen uns etwas erblicken, erleben und ersehnen, das sich eben gerade dem Augenlicht entzieht. Josef Felix Müller macht diese Blendung mit den Mitteln der Malerei sichtbar und vermag dem Licht seinen vierdimensionalen Raum zu geben.
Fiona Siegenthaler
STAMPA Basel