Eröffnung im Rahmen des Seasonopening der Basler Galerien am Freitag, 31. August 2007, 17-21h
Zilla Leutenegger zeigt in ihrer Einzelausstellung bei STAMPA ihre aktuellsten Zeichnungen und Videoarbeiten. Die zurückhaltende Bespielung der Räume erlaubt ein konzentriertes Erlebnis, in dem Räumlichkeit und Zeitlichkeit ihre Wirkung entfalten können.
Der Bezug zur Wand und zum Raum wird mit den Projektionen hergestellt, die sich in delete 4 und delete 5 als kleine, bewegte Zeichnungen die Wand zum fiktiven, gelegentlich traumwandlerischen Existenzraum aneignen.
Während die Teppichklopferin in delete 5 unaufhörlich auf die Wand einschlägt und dabei scheinbar nur den rosa Putz entfernt, steht die Tellerwäscherin in delete 4 wichtelgleich etwas abseits der grossen Menge überdimensionalen Geschirrs und scheint von der bevorstehenden bzw. bereits erfüllten Arbeit relativ unbeeindruckt: Ununterbrochen poliert sie nahezu verträumt den Teller, während die Teppichklopferin unerschrocken weiter klopft und in eine Trance der Wiederholung zu geraten scheint.
Es ist kein Zufall, dass die beiden Haushälterinnen klein, fast unsichtbar, transparent und von einem Lichtnimbus umgeben sind, der ihren Ort auf der Wand oder im virtuellen Raum definiert: Gekleidet in die typische Arbeitskleidung der 50er Jahre führen sie das aus, was den langweiligen, oft als banal empfundenen Alltag ausmacht - repetitiv und allein. Zugleich zaubern sie aber, Elfen gleich, eine ruhige, friedliche, nahezu traumwandlerische Realität in diese Praxis – sie schaffen eine neue Erfahrung von Zeitlichkeit.
Diese besondere Form von Zeitlichkeit ist nicht allein den Video-Installationen vorbehalten. Sie ist auch in den Zeichnungen von Zilla Leutenegger anzutreffen. Einzelpersonen geraten ins Bildfeld und scheinen nichts Konkretes darstellen zu wollen, sie sind einfach da. Eine sitzende Person in roten Socken macht nicht einmal den Eindruck, auf etwas zu warten, sondern einfach zu sein. Im Diptychon Soazza scheinen die Frauen im blauen Mantel einen tänzerischen Dialog zu führen und stehen doch jede für sich in ihrer Welt – oder sind es nur zwei Ansichten ein und derselben Person? Es ist, als führte da jemand Tagebuch über die ganz unsensationellen Augenblicke im Leben, über jene Augenblicke, die sich durch eine Befindlichkeit, durch eine besondere Stimmung auszeichnen.
passato remoto steht in der italienischen Grammatik für eine Vergangenheitsform, die weit zurück liegt und kaum Bezüge zur Gegenwart hat. Es ist eine hauptsächlich literarische Form, die im gesprochenen Italienisch zunehmend vom „passato prossimo" ersetzt wird.
Die so benannte Videoinstallation von Zilla Leutenegger erfasst diese Ebene des passato remoto sehr präzise: Wie ein entfernter Traum erscheint hier das kindliche Schaukelspiel, aus der Wand auftauchend, schwebend ohne Gebälk, das die bewegten Seile festhalten würde. An hellen Tagen dringt das Sonnenlicht durch die Ritzen der Bretterwand und trägt zur Verklärung von Kindheitserinnerungen bei.
Nähert man sich aber dieser Bretterwand und tritt hinter sie, so ist ein Leerraum zu finden, der die Bretterwand als Kulisse sichtbar macht. Erinnerung ist oft Projektion, aber eine Projektion, die erlebte Stimmungen und Gedanken aktualisiert und ihnen damit eine neue Realität einschreibt. Diese Realität zeichnet sich durch eine besondere Zeitlichkeit aus, die in passato remoto intensiver noch als bei delete zu spüren ist: Die Wiederholung der simplen Schwingbewegung, begleitet vom repetitiven Quietschen der Scharniere und dem sanften Rauschen des Windes vermag eine Situation zu schaffen, die den Besucher ganz unbewusst und unbeabsichtigt die Zeit vergessen lässt.
Zilla Leutenegger arbeitet sehr bewusst mit den Gattungen der Zeichnung, der Wandmalerei und der animierten Videozeichnung und bringt sie gerade mit ihrer Kombination und Überlagerung miteinander ins Gespräch. Haarschöpfe und bunte Kleidungsstücke fungieren in den Zeichnungen wie malerische Markierungen eines bestimmten Augenblicks, die ungreifbare Videozeichnung, aus Licht bestehend, vermag die rosa Wandbemalung zu beschädigen, und die Töpfe der Wandzeichnung bilden in Ihrer Übergrösse eine unwirkliche Landschaft für die kleine projizierte Tellerwäscherin. Zilla Leuteneggers Beherrschung der Medien und ihr sensibler Einsatz darf als Einladung verstanden werden, sich auf diese von ihr geschaffenen, besonderen Räume und Zeiten einzulassen.
Lic.phil. Fiona Siegenthaler
STAMPA Basel