Ausstellungsansicht SABINE HERTIG - REVERBERATE
Reflection 1, 2017
Analoge Collage auf Holz
34,5 x 46 cm
Archiv-Nr. 0223
Ausstellungsansicht SABINE HERTIG - REVERBERATE
Ohne Titel, 2019
Analoge Collage auf Papier
19,5 x 25,5 cm
Archiv-Nr. 0242
Ausstellungsansicht SABINE HERTIG - REVERBERATE
Window 2, 2019
Analoge Collage auf Aludibond
72 x 100 cm
Archiv-Nr. 0253
Landscape Nr. 16, 2019
Analoge Collage auf Leinwand, 3-teilig
240 x 480 cm
Landscape Nr. 16, 2019
Detailansicht
Ausstellungsansicht SABINE HERTIG - REVERBERATE
Das künstlerische Medium von Sabine Hertig (*1982) ist die analoge Collage. Als Bildquellen dienen ihr die zeitgenössischen Informationsmedien und allem voran die klassischen Printmedien. Seit nunmehr 10 Jahren studiert sie ebenso intensiv wie akribisch deren scheinbar unerschöpflichen Bilderfundus auf der Suche nach neuen Bildzusammenhängen und spannungs-reichen Dialogen, im paradoxen Wissen, dass diese künstlerische Aneignung und Verfremdung zugleich Bewahrung bedeutet: „Es ist die Faszination am Bild an sich, die mich antreibt, mich in diesen Bilderfluss zu begeben und auf ihn zu reagieren. Es ist auch der Versuch, den historischen, archivierten Bildern wieder einen Wert zurückzugeben, indem sie in ein neues Ganzes eingebunden und damit in eine Zeitgenossenschaft geführt werden.“
In ihrer dritten Einzelausstellung bei STAMPA setzt Sabine Hertig diesen bildgewaltigen Dialog nun in Form von neuen, noch malerischer wirkenden Collagen in Farbe und einem umfangreichen Konvolut an Schwarz-Weiss-Kompositionen fort. Zu letzteren zählt die monumentale Arbeit Landscape Nr. 16, die sich im gleichnamigen Werkzyklus an die Landscapes Nr. 13-15 anschliesst und – im Sinne des Ausstellungstitels „reverberate“ (widerhallen, zurückstrahlen) – auf diese ‚nachhallt'. Dies im übertragenen wie im räumlichen Sinne, sind die medialen Ruinenlandschaften der Künstlerin doch zeitgleich im Kunsthaus Baselland im Rahmen der Gruppenausstellung „Zeit/Ge/Schichten“ zu sehen.
In ihrer klaren Komposition, Lichtführung und eindringlichen Tiefenperspektive lassen Hertigs grossformatige Collagen unvermittelt an Malerei denken. In der Nahsicht entfalten sich dann aber detailreiche Bilderkosmen, in denen unzählige Einzelgeschichten in einer opulenten Bilderflut malerisch verdichtet sind: „Alles entsteht analog mit Schere und Leim. (...) Die Monumentalcollagen muss ich immer wieder auf Distanz in Bezug auf die Einheitlichkeit und Komposition überprüfen. Man kann sagen, dass sie aus einer malerischen Haltung heraus entstehen, indem ich jedes Bildfragment erstmal auf seinen Tonwert überprüfe. Dabei achte ich in der Anfangsphase nicht auf das auf dem Bildteil zu sehende Motiv, sondern versuche es ungegenständlich zu betrachten, ähnlich wie einen Farbfleck. Es folgt ein langer zeitlicher Weg, der auf Aktion und Reaktion basiert (…) (Ich) lege den Fokus bei all meinen Collagen auf ein Endbild, das sich zum Schluss des Prozesses eröffnet: eine auf Distanz in sich geschlossene räumliche Collage (…) Es geht um Landschaften, es geht um innen und aussen (...) Insofern spielt das Moment des ‚Sich-darin-Verlierens‘ und die damit verbundene ‚Schärfung des Blickes‘ auf Distanz (...) für mich als Künstlerin beim Machen eine Rolle. Dies mag sich auch auf das Gegenüber beim Betrachten übertragen.“
In diesem Spannungs- bzw. ‚Echoraum‘ ist der Standpunkt des Betrachters somit entscheidend für die Wahrnehmung der Werke und wird bereits in den Schaffensprozess miteinbezogen: „In einer fortgeschrittenen Arbeitsphase nehme ich die Inhalte auf den einzelnen Bildteilen (...) dann immer mehr zur Kenntnis, setze sie bewusst im Bild ein (…) Ich sehe in diesem Moment die Collage als Werkzeug des Denkens und nicht als Mittel, alles, was mich umgibt, einfach nur absichtslos und additiv aneinanderzureihen. (…) Hier sehe ich die Möglichkeit, dass sich die Inhalte in der Nahsicht aneinander zu reiben beginnen. Erst dann entsteht für mich ein Diskussionsfeld, bei dem es möglich ist, Inhalte grundsätzlich zu überprüfen und zu hinterfragen (…) Es geht um eine Verarbeitung von bestehenden Bildern in neuen Bildern und um die Überwindung von deren Inhalten auf Distanz.“
Und Sabine Hertig geht noch weiter. Bei ihren jüngsten Schwarz-Weiss-Collagen setzt sie nun auch Schleifpapier als ‚zeichnerische Geste‘ ein. Es ist ein Pendeln zwischen Figuration und Abstraktion, das immer stärker auftritt und mitunter in der Bildzerstörung endet. In diesem Wechselspiel (‚Nachhallen') von Collage, Malerei und Zeichnung erweitert die Künstlerin einmal mehr die formalen Grenzen der Collage und gelangt zu neuen, überraschenden Bildfindungen. So erscheinen ihre atmosphärisch anmutenden Farbcollagen, obgleich sie aus heterogenen Bildwelten bestehen, als malerisches Ganzes und scheinen auch nichts anderes sein zu wollen. Die Kombination von scharfen und unscharfen Bildpartien verweist zudem auf Kompositionsmittel der Fotografie.
Mit ihren Werkzyklen windows, reflections und mirrors begeht Hertig schliesslich auch thematisches Neuland in "reverberate": Spiegel enthüllen und täuschen, versprechen und demontieren zugleich. Hier funktionieren sie aber nicht als Reflektoren oder Abbilder, sondern als virtuelle Bruchstellen zwischen Innen- und Aussenräumen. Im Gegensatz zu diesen ‚Bildschirmen‘ kurz vor der Implosion, ist der Durchbruch in den windows bereits in vollem Gange. Hier sind wir mit Ausnahmezuständen poröser Innenwelten konfrontiert, die ständig von aussen durchdrungen werden und in ihrer überbordenden Ordnungslosigkeit auf uns zurückstrahlen – ebenso ausufernde wie intime Welten, in die es einzutauchen gilt.
(Manuela Kraft / Künstlerzitate aus: „Sabine Hertig im Gespräch mit Ines Goldbach“ / Sabine Hertig – Scrap / 2018)